Herausforderungen und Chancen: Das Leben als Berufsfischer

Jeden Tag vor Sonnenaufgang fährt der Berufsfischer mit dem Boot auf den See. Die Fischerei Sigriswil ist eine der letzten ihrer Art am Thunersee. Die Zukunft der Berufsfischerei ist ungewiss.
Eine Reportage von Illia Kotliarov und Nevin Wälchli.

Jeden Tag um fünf Uhr morgens fährt Johannes von Gunten mit einem Kollegen auf den Thunersee. Sobald Johannes von Gunten an einer erfolgsversprechenden Stelle ankommt, holt er die Netze ein. Durch den Tag ordnet Johannes von Gunten seine Netze und verkauft seinen Ertrag. Am Abend fährt Johannes von Gunten wieder auf den bis zu 217 Meter tiefen See und legt die Netze aus. Das ist der Alltag eines Berufsfischers. Wir haben ihm einen Besuch in seiner Fischerei abgestattet.

Abbildung 1: Johannes von Gunten auf dem See. Foto: Johannes von Gunten.

Fischerei Sigriswil

Morgens um halb neun Uhr kommen wir mit dem Bus in Sigriswil an. Es ist kalt und bewölkt, aber wir freuen uns auf das Interview. Nach ein paar Minuten zu Fuss kommen wir bei der Fischerei Sigriswil an. Die Fischerei von Johannes von Gunten befindet sich im oberen Teil von Sigriswil, am Schielereggweg 7. Johannes von Gunten hat den Stall seines Bauernhauses zu einer Fischerei umgebaut. Der Blick von dort auf den See ist wunderschön. Wir treten in die Fischerei ein und nehmen sofort den Fischgeruch wahr. Mit einem Lächeln im Gesicht begrüsst uns Johannes von Gunten in seiner Fischerei. Er ist gerade daran, seine langen Netze zu ordnen. Uns fallen sofort die Maschinen auf. Eine Maschine, die wie ein Weinglas aussieht. Sie ist dafür zuständig, die Schuppen von dem Fisch zu entfernen. Daneben steht eine Maschine, bei welcher der Fischer aufpassen muss, denn ihre Aufgabe ist es, den Kopf des Fisches abzuschneiden und den Torso in 2 Filet zu teilen. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich eine Vakumiermaschine. Die Filets werden in ein Säckchen gesteckt und danach wird die Luft aus dem Säckchen entfernt.  Das vakuumierte Säckchen kommt in die grosse Kühltruhe und wird dort gelagert. Johannes von Gunten zeigt uns auch den Ertrag des Tages. Es sind vor allem Felchen, die Johannes von Gunten fängt. Im Thunersee kommen aber auch viele Eglis und Seesaiblinge vor. Ab und zu schwimmt Johannes von Gunten sogar ein Hecht oder eine Seeforelle ins Netz. Das Verkaufsangebot seiner Fischerei variiert je nach Fangertrag und nicht alle Fischarten sind immer verfügbar.

Abbildung 2: Fischerei Sigriswil. Foto: Illia Kotliarov

Ausrüstung und Anforderungen

“Das Wetter ist meine grösste Herausforderung. Besonders der Wind und die immer extremeren Stürme.”
Johannes von Gunten

Der wichtigste Teil der Ausrüstung eines Berufsfischers ist das Boot. Das Boot sollte sturmsicher sein und einen zuverlässigen Bootsmotor haben. Zur Ausrüstung gehören auch die Netze. Es gibt verschiedene Netzarten. Am weitesten verbreitet sind Grundnetze, Treibnetze und Schleppnetze. Bei der Fischerei mit Grundnetzen wird ein Netz am Grund platziert und die Fische verfangen sich im Netz. Bei der Treibnetzfischerei ist das Netz nicht am Grund, sondern treibt an Schwimmkörpern im Freiwasser. Schleppnetze werden hinter dem Boot nachgezogen und so wird eine grosse Fläche abgefischt. Am Thunersee wird nur mit Grund- und Treibnetzen gefischt. Die Maschenweite der Netze ist gesetzlich geregelt. So wird verhindert, dass zu kleine Fische gefangen werden. Die Fischerei im Thunersee ist nachhaltig, da alle gefangenen Fischarten verwertet werden und eben keine Jungfische gefangen werden. Ein Berufsfischer braucht auch eine geeignete Räumlichkeit, um die Fische zu verarbeiten. Diese Räumlichkeit muss den Lebensmittelvorschriften entsprechen und mit allen nötigen Geräten und Maschinen ausgestattet sein. Die Berufsfischerei erfordert aber nicht nur eine solide Ausrüstung, sondern auch verschiedene Fähigkeiten und Kenntnisse. Ein Berufsfischer muss sein Gewässer gut kennen, damit er weiss, wo er welche Fischarten zu welcher Jahreszeit am besten fängt. Zudem ist es von Vorteil, die Wetterverhältnisse richtig interpretieren zu können und potenzielle Risiken zu erkennen. Ein guter Aufbau an Beziehungen kann einem Berufsfischer helfen, an Kunden zu kommen. Als Berufsfischer wird also eine Menge Ausrüstung und auch verschiedene Kompetenzen und Fähigkeiten benötigt.

Abbildung 3: Johannes von Gunten beim Ordnen der Netze. Foto: Illia Kotliarov

Konflikte

Mit Johannes von Gunten sprechen wir auch über die Konflikte in seinem Beruf. Die kleinen Quagga-Muscheln, die sich intensiv in der Schweiz verbreiten und eine Bedrohung für die Tier und Pflanzenwelt darstellen, sind eine Muschelart die ursprünglich aus der Schwarzmeerregion kommt. Die Quagga-Muscheln sind also in der Schweiz invasiv. Sie siedeln sich in grossen Mengen an und besetzen somit die Lebensräume anderer Arten. Die Quaggas konkurrieren mit einheimischen Arten um Nahrung. Sie filtern grosse Mengen an Plankton und anderen Nährstoffen aus dem Wasser. Sie verbessern durch Filtern das Wasser, aber gleichzeitig führt das zu einem Ungleichgewicht im Ökosystem, da andere Arten, die auf diese Nährstoffe angewiesen sind, beeinträchtigt werden. Zudem führen die grossen Ansiedlungen von Quagga-Muscheln zu Schädigung der Infrastrukturen wie Schiffsrümpfen, Wasserleitungen und Bootsrampen. Die Muscheln setzen sich an den Oberflächen fest und beschädigen diese, was zu Verstopfungen, Korrosion und noch anderen Problemen führt, die teure Reparaturen erfordern. Johannes von Gunten ist auch der Meinung, dass die Quagga-Muscheln nicht förderlich sind, aber er hat keine Angst. Er ist überzeugt, dass die Muscheln in den Tiefen des Thunersees kein Habitat haben.

Kormorane sind auch ausgezeichnete Fischer wie Johannes von Gunten und ernähren sich hauptsächlich von Fischen. In den Gebieten, in denen sich grosse Populationen von Kormoranen ansiedeln, können sie einen grossen Einfluss auf die Fischbestände haben. Sie siedeln sich in grossen Kolonien in der Nähe von Gewässern an. Die grossen Kolonien können zu einer grossen Ansammlung von Federn und Kot führen, welche zu der Verschmutzung und Beschädigung der Wasserqualität führen kann. Auch für den Thunersee stellen die Kormorane eine Bedrohung dar, aber nur für die Juwelen, die der Thunersee beherbergt. Zu den Juwelen des Thunersees zählt man die Forellen und Äschen, welche in seichten Gebieten leben und so für den Kormoran eine einfache Beute sind. Doch da der Thunersee mehrheitlich tief ist und nur wenig seichte Stellen hat, kann der Kormoran nicht effektiv jagen.

Nicht nur Tiere, sondern auch die Menschen stellen eine Gefahr für die Fische und Gewässer dar. Indem sie die Lebensräume zerstören, Gewässer verschmutzen und die Wasserqualität verschlechtern. Sogar für die Berufsfischer können manche Menschen, die Hobbyfischer, ein Problem darstellen. In einem Gebiet, wo die Hobbyfischer aktiv sind, können sie um die gleichen Fischbestände konkurrieren wie Berufsfischer. Aktive Hobbyfischerei kann zu dem Rückgang der verfügbaren Fischbestände führen und somit auf die Lebensgrundlage der Berufsfischer auswirken. Dazu halten sich manche Hobbyfischer nicht an die Fischereivorschriften. Vor allem wenn diese Hobbyfischer wenig informiert sind über die Auswirkungen ihres Handelns und keine Rücksicht auf Lebensräume und das Wohl der Fische nehmen. Doch auch dieses Problem ist am Thunersee nicht vorhanden, denn, wie Johannes von Gunten sagt, man schaut aufeinander.

Ungewisse Zukunft

“Man hat Jahre, da fängt man weniger, man hat Jahre, da fängt man mehr. Das berufliche Risiko ist hoch.”
Johannes von Gunten

Die Arbeit eines Berufsfischers besteht darin, Fische zu fangen, zu verarbeiten und zu verkaufen. Die Arbeit ist streng und das berufliche Risiko ist hoch. Als Berufsfischer ist man vom Fischbestand abhängig und deshalb ist auch die Zukunft ungewiss. Der Fischbestand des Thunersees sei seit fünfzehn bis zwanzig Jahren unverändert auf einem soliden Niveau, sagt uns Johannes von Gunten. Trotzdem fängt man je nach Jahr mehr oder weniger. Die Zukunft der Berufsfischer bringt viele Herausforderungen. Neben der Ungewissheit, was den Fischbestand anbelangt, werden auch die Wetterverhältnisse immer extremer. Für Berufsfischer ist das Wetter eine der grössten Herausforderungen. Stürme und Gewitter zwingen zum Ufer zu fahren, was Johannes von Gunten Abwettern nennt, und verringern so den Ertrag. Das Wetter beeinflusst auch das Verhalten der Fische. So sind die Felchen, welche Johannes von Gunten am Thunersee hauptsächlich befischt, plötzlich nicht mehr an denselben Standorten wie erwartet. Die Fische dann wieder zu finden, kostet Zeit. Berufsfischer wie Johannes von Gunten können sich meistens auf ihre Erfahrung verlassen. Aber vorhersehen, was die Fische als Nächstes machen, kann keiner.

Eine neue Fischerei zu starten ist schwierig. Um als Berufsfischer tätig zu sein, braucht man die Ausbildung zum Fischer und ein Patent. Dieses Patent muss vom Kanton erworben oder von einem Vorgänger übernommen werden. Das Erwerben eines Patentes beim Kanton ist schwierig. Johannes von Gunten sagt uns, dass die Zukunft schwierig sei.

Wir wollen gerade aufbrechen, als uns Johannes von Gunten noch einmal zurückruft. Er möchte uns noch von seinen selbstgemachten Fischburgern mitgeben. Noch am selben Tag essen wir die Fischburger zuhause. Zum ersten Mal wird uns bewusst, wie viel Arbeit hinter diesen Fischburgern steckt, denn die Arbeit der Berufsfischer ist vielen Leuten unbekannt.

Auszug aus dem Interview:
Wie schätzen Sie den Fischbestand des Thunersees ein?
Er ist seit ca. 15-20 Jahren unverändert auf seinem Niveau. Er hat einen soliden Bestand.
Sind Sie als Berufsfischer von dem Fischbestand abhängig?
Das ist so. Das ist mein Brot, ich bin von dem Fischbestand abhängig.
Müssen Sie als Berufsfischer die gleiche Schonmassen und Regelungen beachten wie auch Hobbyfischer?
Ja, es ist geregelt durch die Maschenweite. Ich fange keine zu kleinen Fische. Das Regelrecht stimmt gut und ich habe die gleichen Schonzeiten. 
Haben Sie Angst von den Quagga Muscheln, die sich auch in anderen Seen der Schweiz verbreiten? 
Die Quagga Muscheln sind nicht förderlich, aber ich habe keine Angst, denn der Thunersee ist zu tief. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Muscheln in 100 Meter Tiefe ihr Habitat haben. Die Muscheln sind für Flachwasserseen, wie für den Bodensee, ein größeres Problem. 
Stellen die Kormorane ein Problem dar?
Nein, am Thunersee an den Felchen-Beständen sicher nicht, aber für die Juwelen, die Thunersee beherbergt, die Forellen, die Äschen, welche in seichten Gewässern leben, ist der Kormoran sicher eine Bedrohung. Aber dadurch, dass der Thunersee tief ist, kann der Kormoran nicht gut jagen und darum beherbergt der Thunersee nicht viele. 
Hatten Sie schon einmal irgendwelche Konflikte mit Hobbyfischer oder sehen Sie gar kein Konfliktpotenzial?
Nein, man schaut aufeinander.
Sie haben vorhin erzählt wegen den Netzen. Gibt es andere Wege, wie man nachhaltig fischen kann?
Nein, im Thunersee wird nur mit Netzen gefischt. Man fischt nur mit Treibnetzen und Grundnetzen im Thunersee.
Seit 2015 ist Johannes von Gunten selbstständig als Berufsfischer am Thunersee tätig. Schon im Alter von zehn Jahren ist er regelmässig in die Fischerei von Moser Heinz gegangen und hat ihm beim Ausliefern der Fische und lösen der Netze geholfen. Beim Lösen der Netze werden die Knoten im Netz gelöst. Mit der Zeit wurde Johannes von Gunten auch das Filetieren der Fische und der Umgang mit den Netzen auf See beigebracht. Nach seinem Schulabschluss hat er eine Lehre als Schreiner absolviert. Nach der Lehre hat er beschlossen, in den Bootsbau zu gehen. Später war er Schiffsführer auf den Thunersee. Mit diesen Voraussetzungen hat sich Johannes von Gunten vor vierzehn Jahren entschieden, die Ausbildung zum Fischwirt in Deutschland zu absolvieren. Dank seiner Freundschaft mit Heinz Moser hat Johannes von Gunten vor neun Jahren den Betrieb von Heinz Moser übernommen und ist in die Fusstapfen Heinz Moser getreten. Nun ist er auf dem Thunersee als Berufsfischer tätig. Seine Fische verkauft er an private Kunden und auch an verschiedene Restaurants und Betriebe der Region. Johannes von Gunten hat zwei Töchter und wohnt mit seiner Frau in Sigriswil bei seiner Fischerei. Seine Familie unterstützt Johannes von Gunten tatkräftig. Seine Frau erledigt administrative Arbeiten und hilft bei der Auslieferung und der Fischverarbeitung. Die Töchter helfen ihm ebenfalls in der Fischerei bei verschiedenen Aufgaben.